2025-11-23

Maskierte Stille – Streetfotografie in Zeiten von Corona

Während der Pandemie zwischen 2020 und 2022 war ich regelmäßig in Düsseldorf und Wuppertal unterwegs, um festzuhalten, wie sich das öffentliche Leben verändert hatte. Was ich damals sah, war keine gewöhnliche Stadtlandschaft – sie war stiller, aufgeräumter und gleichzeitig befremdlich. Die Kamera wurde für mich zu einem Werkzeug, um eine Situation zu verstehen, die für alle neu war.

Die Sprache der Abstände

Streetfotografie lebt normalerweise von Begegnungen, Bewegung und spontanen Momenten. Während der Pandemie fiel all das weitgehend weg. Plötzlich waren Straßen und Plätze leer, Schaufenster verdunkelt, Haltestellen ohne Wartende.
Die bekannten Orte wirkten größer, weiter, fast unpersönlich. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – wollte ich dokumentieren, wie diese Zeit aussah. Es war ungewohnt, aber auch eine seltene Gelegenheit, das öffentliche Leben in seiner Reduktion zu zeigen. Masken wurden zum zentralen Element in meinen Fotos. Sie gaben Gesichtern eine neue Ausdruckslosigkeit, sie machten Menschen anonym, ließen aber die Augen umso stärker wirken. Viele Aufnahmen zeigen nicht die Begegnung, sondern die Distanz – Menschen, die nebeneinander existieren, aber sich nicht wirklich begegnen.

In Düsseldorf und Wuppertal entstanden viele meiner Bilder dort, wo normalerweise Bewegung herrscht: an Bahnhöfen, in Fußgängerzonen, vor Theatern oder Einkaufszentren. Diese Orte wirkten plötzlich anders – strukturierter, aber leblos. Überall tauchten neue grafische Elemente auf: Bodenmarkierungen, Absperrbänder, Hinweisschilder. Der öffentliche Raum war neu organisiert, und das zeigte sich auch visuell. Ich begann, diese Ordnung zu fotografieren – Linien, Pfeile, Raster. Die Stadt sprach in Symbolen. Ein gelber Streifen auf dem Asphalt, ein Schild mit dem Hinweis auf Abstand, ein Stück Plexiglas an der Supermarktkasse – das waren die neuen Motive des Alltags. Doch für mich blieb es dabei, dass es die Menschen sind, die mich als Motive am meisten interessieren. Wie sie sich unter diesen neuen und ungewöhnlichen Gegebenheiten verhalten.

Fotografieren mit einer Maske und einer Brille

Das Fotografieren selbst änderte sich deutlich. Ich hielt Abstand, nicht nur aus Rücksicht, sondern auch aus Routine. Gespräche mit Passanten oder spontane Porträts fielen weg. Ich arbeitete zwar mit den gleichen Brennweiten, achtete aber stärker auf Komposition und Struktur. Viele Fotos zeigen Menschen, die in Bewegung sind, aber vor allem in der Anfangszeit in Gruppen. Erst im Laufe der Pandemie, als sich die Menschen an alles gewöhnten, zeigte sich wieder einigermaßen das Verhalten, welches vor der Pandemie noch so normal war. Einzelne Figuren, die durch offene Räume gehen, wirken isoliert – nicht inszeniert, sondern einfach Teil der Situation

Ich fotografierte meist mit kompakten Micro-Four-Thirds-Kameras – unauffällig, schnell einsatzbereit, ideal für Situationen, in denen man nicht auffallen möchte. Meist wählte ich bereits in der Kamera das Schwarzweiß, weil es den Fokus auf Formen, Kontraste und Licht lenkt. Farbe hätte zu viel Ablenkung gebracht. Und da das Leben auf den Straßen ruhiger war, konnte ich auch selbst ruhiger arbeiten. Ich wartete häufiger auf den richtigen Moment, beobachtete dafür länger. Das war neu für mich – und es veränderte auch meinen fotografischen Rhythmus.

Zwischen Dokumentation und Reflexion

Im Rückblick sehe ich meine Corona-Serie nicht als klassische Streetfotografie im engeren Sinn. Es sind eher dokumentarische Beobachtungen – Aufnahmen, die zeigen, wie sich Menschen und Städte an eine Ausnahmesituation angepasst haben. Ich wollte keine Angst oder Dramatik darstellen, sondern Alltäglichkeit unter veränderten Bedingungen.
Das Verhältnis von Mensch und Raum verschob sich – Abstand, Leere, Orientierung. Manche meiner Fotos zeigen das indirekt:
Leere Stühle in einem Café, ein einsamer Fußgänger auf einer breiten Straße, Markierungen, die mehr Raum einnehmen als die Menschen selbst. Und dennoch habe ich für diesen Eintrag die Bilder ausgesucht, die trotz Masken und Abstandsregelungen das zeigen, was dem Menschen doch so wichtig zu sein scheint – nicht alleine sein, sondern immer mit irgendjemand anderes.

Was bleibt

Heute, einige Jahre später, wirken die Bilder fast historisch. Masken, Bodenmarkierungen, Desinfektionsspender – vieles davon ist verschwunden. Doch in der Rückschau erzählen die Fotos, wie sichtbar eine unsichtbare Krise werden kann. Ich sehe sie nicht mit Nostalgie, sondern mit Interesse: als visuelle Notizen aus einer Zeit, in der sich Verhalten, Wahrnehmung und Öffentlichkeit neu geordnet haben. Für mich persönlich hat diese Zeit die Art verändert, wie ich fotografiere. Ich arbeite heute bewusster, langsamer, konzentrierter. Ich achte stärker auf Zwischenräume, auf Stille, auf kleine Details, die sonst leicht übersehen werden.

Fazit

Die Corona-Zeit hat gezeigt, dass Streetfotografie nicht immer vom Trubel lebt. Auch Leere, Abstand und Unsicherheit sind Teil des öffentlichen Lebens – und damit fotografisch relevant. Was mich damals hinauszog, war weniger der Wunsch nach Sensation als der Versuch, eine ungewöhnliche Normalität festzuhalten. Ich wollte zeigen, wie Städte aussehen, wenn sie für kurze Zeit die Luft anhalten. Heute dokumentieren diese Aufnahmen eine Phase, die wir alle erlebt, aber kaum bewusst betrachtet haben. Und vielleicht ist das genau die Stärke der Streetfotografie: Sie zeigt, wie Menschen und Orte miteinander verbunden bleiben – selbst, wenn sie sich voneinander fernhalten müssen.

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